Ein weiteres Mal in dieser Reihe möchte ich der Frage nachgehen, wie man es anstellen kann, gemeinsam richtig dumm zu sein. Wenn man nämlich nicht verstanden hat, wie das geht, kann man auch nicht gemeinschaftlich schlauer werden. Nachdem ich im letzten Teil hauptsächlich die systemischen Verstrickungen aufgezählt habe, die hier hilfreich sind, will ich diesmal eine andere Variation kollektiver Lernverweigerung betrachten, die weniger mit dem Beziehungsgeflecht zwischen Menschen zu tun hat als mit den Beziehungen zu Zeit und Raum...

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Intelligenz, individuelle wie kollektive, lässt sich auch beschreiben als die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Oder, abstrakter ausgedrückt: Intelligenz ist das relative Ausmaß der Fähigkeit, die Rückwirkungen des eigenen Handels als Information dafür zu verwenden, das eigene Verhalten so zu verändern, dass man erfolgreicher angepasst ist (‚Survival of the fittest‘). Je schneller man lernt, desto schlauer; je langsamer, desto gefährdeter; gar nicht lernen = akut vom Aussterben bedroht).

Das alles ist noch relativ einfach, wenn die Rückmeldung auf das Verhalten schnell erfolgt und sinnlich unmittelbar zur Verfügung steht, nach dem Muster der heißen Herdplatte. Der Unterschied zwischen individuellem und kollektivem Lernen besteht aber auch unter solchen Voraussetzungen darin, dass es in Gruppen bereits einen Kommunikations- und Bewertungsprozess braucht, bevor die Gruppe (oder die, die sie repräsentieren …) die Entscheidung trifft: Anfassen verboten!
Je länger es dauert, bevor die Rückwirkungen der Welt auf das eigene Handeln wieder bei einem eintreffen, desto leichter fällt es sich einzureden, es gäbe wahrscheinlich gar keine Rückwirkungen – jeder Raucher weiß, wovon ich rede. Analoges gilt natürlich für die räumliche Entfernung zwischen Ursache, Auswirkung und Rückwirkung: Wenn man wie die EU-Länder große Teile seines toxischen Elektroschrotts nach Afrika verschifft, vergiftet man dort die Umwelt und nicht zu Hause, also eigentlich gar nicht. Bei zunehmender zeitlicher und räumlicher Entfernung wird es anspruchsvoller, eine kausale Beziehung zwischen dem Tun in der Vergangenheit und seinen Rückwirkungen in der Gegenwart tatsächlich zu beweisen – und so lange die nicht zweifelsfrei bewiesen ist, kann man bei entsprechender kurzfristiger Interessenlage noch lange so tun, als sei da nichts. Die Tabakindustrie hat das über Jahrzehnte hinweg sehr profitabel durchgezogen. Und schließlich, am dramatischsten: wenn sehr viel Zeit zwischen dem Bewirken und dem mit den Rückwirkungen Konfrontiert werden vergangen ist, ist es vielleicht zu spät, überhaupt noch etwas zu ändern.
Das ist ziemlich genau das Muster des Prozesses, den wir in Bezug auf die globale Erwärmung durchmachen: erst sehr lange völlig leugnen, dann eine Temperaturerhöhung anerkennen, aber bestreiten, dass unser Ausstoß an Treibhausgasen wirklich ursächlich sein könnte, dann ist es zu spät, und alles, was man überhaupt ändern könnte, würde wiederum lange Zeit brauchen, bevor die Auswirkung spürbar wären. In einer anderen Blogreihe habe ich die Weltklimakonferenz im Dezember dieses Jahres in Paris als schicksalhaften Prüfstein der kollektiven Intelligenz unserer Spezies beschrieben.

 

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