breaking news from the edge

 Nichts dauert ewig. Irgendwann ist es wieder einmal Zeit, sich voneinander zu verabschieden und sich aus den Rollen zu entlassen: Sich zu sagen, was noch gesagt werden muss, zu hören, was noch gehört werden muss. Das gilt für Teams genauso wie für die Beziehungen mit Einzelnen. Das Ziel ist dort wie hier, sich so von dem was war zu lösen, so dass Neues entstehen kann – und keine elende Wiederauflage des Alten. 

 Dass man einander unter neuen systemischen Vorzeichen wieder begegnen kann, ohne schon verstrickt und verdammt zu sein. Und dass man das nächste Mal ein wenig klüger ist, einzeln und gemeinsam, als das letzte Mal. Bruce Tuckman, der diese ‚Phase‘ später den ersten vier hinzufügte, benutzte hier den Begriff Adjourning, also eigentlich ‚Vertagen‘. Das ist nicht ganz präzise, weil es hier durchaus um einen echten Abschied geht, denn so wie es war wird es nie wieder. Aber es gibt die Aussicht, unter neuen Vorzeichen vielleicht erneut miteinander in Beziehung zu treten. Man begegnet sich, so weiß der Volksmund seit Helmut Kohl, immer mindestens zweimal. Jedenfalls:

Abschiede sind immer die letzte Chance, voneinander zu lernen, während man noch zusammen ist. Unwiederbringlich.

Wenn es sich um ein Team handelt, das Sie über längere Zeit geführt haben, werden Sie sicher irgendeine Art von Abschiedsritual veranstalten wollen: gemeinsam noch mal essen gehen, ein ‚Ausstand‘ in der Firma, ein letzter Kegelabend, was auch immer. Sie werden danken wollen für die gemeinsamen Anstrengungen, für das Engagement und den Teamgeist ihrer Leute. Sie werden noch einmal austauschen wollen, worauf Sie gemeinsam stolz sind, was Ihre größten Herausforderungen waren, und vielleicht auch, was Sie bedauern, nicht erreicht oder getan zu haben. Sie werden sich gegenseitig noch einmal alles Gute wünschen, hoffen, dass Sie sich in Zukunft wiedersehen, und speziell Sie, in Ihrer scheidenden Rolle, werden noch einmal zumindest vagen Optimismus verbreiten wollen hinsichtlich dessen, was das Team in der Zukunft zu erwarten hat. Vielleicht trauen Sie sich auch zu fragen, ob es irgendetwas gibt, was irgendjemand Ihnen noch gerne sagen möchte, sich aber nie getraut hatte oder nie die Gelegenheit hatte – weil Sie gerne lernen würden.

 Viel häufiger als solche ‚ordentlichen‘ Abschiede sind aber eben solche Situationen, in denen man sich nicht von der ganzen Truppe trennt, sondern nur von Einzelnen oder Wenigen, und stattdessen einzelne oder mehrere Neue begrüßen muss. Nicht jeder dieser Wechselfälle wird Anlass sein für eine formelle Veranstaltung, und die Gruppe als Ganze bleibt ja bestehen.

frosch abschiedTrotzdem ändert sich eine Gruppe mit jeder Person, die geht oder kommt. Jeder der geht hinterlässt eine Lücke, die genau so von niemand anderem gefüllt werden kann, und jede die hinzukommt bringt etwas mit, nach dem man nicht gefragt hatte und für das erst einmal gar kein Platz vorgesehen ist. Und jede Person hat auch ihren eigenen Stil, sich in eine neue Gruppe einzupassen oder – auf der anderen Seite –Neue und Neues zu begrüßen. Prinzipiell bringt also jeder Wechsel das gesamte Gruppengefüge in Bewegung, selbst wenn die Gruppe sehr ‚gefestigt‘ ist. So mächtig ist jede einzelne Person.

Für Ihre Beziehung zum Team heißt das: vorübergehend wieder mehr anwesend sein. Altes würdigen, Neues willkommen heißen, Rang- und Einflussdynamiken moderieren und klären – all die Dinge, die Sie aus der Storming-Phase kennen; nur hoffentlich jetzt nicht noch einmal in derselben Intensität. Dann kann es sich wieder stabilisieren und produktiv werden. Oder es wird bereits vom nächsten Wechselfall fundamental durcheinandergeschüttelt. Was ich mit all dem sagen will, ist:

Das Modell der Teamentwicklungsphasen ist wunderbar, aber eben ein idealisierter Verlauf, der so nur stattfindet, wenn die Menschen in Ruhe gelassen werden, ihn zu durchschreiten.
Das kommt einem in der globalisierten, ständig von Veränderung (gar ‚Transformation‘) besessenen Organisationswelt schon fast romantisch und ein bisschen nostalgisch vor.

Ständige Neuanfänge, ständige Abschiede, ständige Ungewissheiten, immer wieder Reorganisationen, seit zehn Jahren derselbe Schreibtisch, aber das fünfte Firmenlogo auf dem Briefpapier. Und eigentlich wollte man doch nur gute Arbeit machen. Solche Transformationsprozesse, („wir machen gerade mal wieder einen Mega-Change“) laufen gesetzmäßig und regelgetreu als Täter-Opfer-Dynamiken statt: Man wird, gemeinsam und jeder für sich, mit etwas konfrontiert, das man nicht leugnen kann, vor dem man nicht weglaufen kann, mit dem man umgehen muss, und das erhebliche bis dramatische Konsequenzen hat bis hinein in die privaten Bereiche. Das zieht unabweislich nach sich, dass man nicht Opfer bleiben kann, sondern zum Mittäter, zum Gestalter der Veränderung werden muss. Kollektiv und individuell, mit Auswirkungen auf eine Menge systemische Stakeholder, im Job wie privat. Das ist ein anspruchsvoller alchemistischer Verwandlungsprozess. Er läuft ab nach demselben Template, das allen Prozessen zwischen Input und Output unterliegt, aber diesmal kollektiv, als Prozess nicht nur in, sondern auch zwischen Menschen in ihren Rollen. Und teilweise durchaus dramatisch: Rang- und Machtdynamiken, Konflikte, Gewinner und Verlierer. Sie kennen es schon:

 

5GPM Team

 

Menschen können nicht unablässig durch solche Veränderungsprozesse gehen, nicht individuell, nicht kollektiv, ohne dass sich dabei etwas Kostbares und Essenzielles endgültig und unwiederbringlich verabschiedet. Was das im Tiefsten ist, will ich hier gar nicht ausloten, schließlich geht es hier nicht um kulturkritisches Gejammer, sondern um praktische Hilfestellungen. Der Effekt jedenfalls ist eine Art professionelle Verwahrlosung: man glaubt niemandem mehr, man lässt befeuernde Botschaften des Managements an sich abperlen, man wird zynisch und unerreichbar – eigentlich nicht mehr zu führen, weil nicht mehr zu beeinflussen. Und einem selbst als Führungskraft geht es vielleicht auch nicht viel anders, wenn man in aller Stille ehrlich mit sich ist.

Ein Teil - nicht der unwesentlichste - der Abschiede, denen man sich immer wieder stellen muss, ist ja der von den eigenen Hoffnungen und Gestaltungswünschen. Was hält einen also eigentlich, warum kündigt man nicht fristlos und wandert in eine Gegend der Welt aus, in der es noch nicht ganz so irre zugeht? Wahrscheinlich sind das für die allermeisten von uns immerhin diese drei Dinge – neben der natürlich wichtigsten Tatsache, dass man eine oder mehrere Familien zu unterstützen und Kinder in der Ausbildung hat:

  • Man liebt, was man tut. Das mag paradox erscheinen im Angesicht dessen, worum es hier gerade geht. Aber es ist so einfach wie wahr: wenn man Ingenieur ist, liebt man es, Dinge zu bauen. Wenn man Arzt ist, liebt man es, Menschen zu heilen. Wenn man Kraftfahrer ist, liebt man es, Kraftfahrzeuge zu fahren. Ich bin in meiner Praxis immer wieder tief berührt davon, wie nahezu unzerstörbar diese Kernmotivation ist, auch wenn es einem fast unmöglich gemacht wird, sie zur Erfüllung zu bringen. Das ist dieser vielleicht archetypisch männlich gefärbte Fokus, von dem schon früher die Rede war.
  • Man leistet einen Beitrag zu etwas, was größer ist als man selbst, und wichtiger für die Welt als die reine Tätigkeit, die man liebt. Das ist der Unterschied zwischen Hobby und Professionalität. Man macht einen Unterschied für andere. Man spielt eine Rolle. Man wird gebraucht. Es gibt wenig Schlimmeres, als eine Arbeit zu tun, die niemand braucht oder auch nur ernsthaft zur Kenntnis nimmt. (Siehe ‚Person und Rolle‘).
  • Man hat persönliche Beziehungen. Die Leute liegen einem am Herzen, man ist eingebunden in ein Netzwerk von Erinnerungen und Geschichten, Gewohnheiten und Verbindungen. Man gehört dazu, man ist nicht allein.

Das sind drei tiefe menschliche Grundbedürfnisse, die alle Menschen über alle sozialen und kulturellen Unterschiede hinweg miteinander verbinden. Es sind deswegen auch drei essenzielle Leitmotive, über die hinweg ich diesen Text immer wieder komponiere und improvisiere. Auf die können Sie jederzeit zählen. Auf die können Sie sich verlassen, auch wenn es syste¬misch mal wieder ganz schwierig und frustrierend und eigentlich zum Heulen ist. Aus diesen unzerstörbaren Grundbedürfnissen gärt für Sie immer wieder der Teig, aus dem Sie die kollektive Motivation für den nächsten Neuanfang kneten können. (Wenn auch das überhaupt nicht mehr geht, haben Sie es wahrscheinlich mit Zombies zu tun, oder sind selbst schon einer geworden.) Wenn Sie das glaubhaft und geschickt und kraftvoll machen, wird es Ihnen hoffentlich mal wieder gelingen, und sie können Schwung nehmen für einen halbwegs neuen Anfang.

Trotzdem werden die Folgen zu häufiger Veränderungen ihre Spuren auf der Beziehungs-ebene zwischen allen Beteiligten hinterlassen haben – auch wenn das niemand sagt, weil es eigentlich unsagbar ist. Es geht, wie man in Analogie zu kindlichen Entwicklungen sagen könnte, eine Art Urvertrauen verloren. Das ist ein Trauma, und Traumata sind vielleicht zu mildern, aber nicht heilbar. Das Ergebnis ist:
Die Beziehungen zwischen allen Beteiligten– eigentlich müsste man sagen: die Beziehungsfähigkeiten – gleich welchen hierarchischen Ranges, werden sich für immer verändern. Beziehungsweise: sie haben es längst begonnen zu tun in unserer globalisierten Welt; und damit auch in jeder Organisation, die von ihr betroffen ist. Eine unbedingte Zugehörigkeit wird durch eine Söldner-Beziehung ersetzt – so etwa die Beziehung, die Fußballprofis zu ihrem Verein haben.

Das ist ja auch eine Art Leben, und es hat ja sogar seine ganz eigenen Attraktionen, so flüchtig und ungebunden, so unbindbar und scheinbar autonom, wie es ist. Eins ist aber sicher: es geht nicht gut zusammen damit, dass man Kinder ins Leben hinaus begleiten muss, dass man also für die Zukunft sorgt. Söldner sind alles Mögliche, aber sicher keine Helden der Familienorientierung oder der Zukunftssorge.

Die Frage, die in unserem Zusammenhang hier aus all dem entsteht, ist aber vor allem diese: Wie kann man auf die unaufhörlichen Irritationen und Reorganisierungen und Transformationen und Initiativen und strategische Neuausrichtungen und Reorganisationen und Irrwitzigkeiten und Kostensenkungsschlachtpläne und Diversity-Programme und, und, und … so antworten, dass einem die Liebe zur Sache und die Liebe für die Menschen und zu sich selbst nicht vollkommen abhandenkommt und man Ergebnisse erzielt?

Und - ganz wichtig - dass man sich nicht zu sehr anstrengt? Dass man also nicht zum Zombie der globalisierten Arbeitswelt wird?

Diese Dinge fallen mir hier ein, wenn ich noch einmal zurückschaue auf die Leitgedanken, unter denen die Fragestellungen der Teamführung hier stehen:

Vertrauen Sie unbedingt auf die inhärente Fähigkeit einer Gruppe zur Selbstorganisation.

Denken Sie aber niemals, dass die Prozesse dieser Selbstorganisation immer harmlos oder friedvoll ablaufen. Sie reiten einen Tiger. Sie surfen eine potenziell gewaltige Welle. Tough Love in der Teamführung ist genau diese Fähigkeit: einen Blick dafür haben, was die Gruppe allein kann und können muss. Ein Empfinden dafür, was die Gruppe sich nicht selbst geben kann, weil sie es systemisch nicht darf. Ihr diesen Beitrag geben, sich vorübergehend anstrengen, wenn es sein muss, sich so früh wie möglich wieder herausziehen. Dabei den inhaltlichen Fokus nicht verlieren.

Seien Sie so transparent wie möglich darin, ihren Leuten immer wieder ihre persönliche Geschichte darüber zu erzählen, wie die Dinge Sie berühren, mit denen Sie gemeinsam konfrontiert sind. Wie Sie zu den Entscheidungen gelangt sind, die Sie treffen, und welche Gesichtspunkte daran bedeutsam waren. Welche Gefühle Sie darüber haben, dass weder Sie allein noch Sie gemeinsam manche Dinge ändern können, die eigentlich geändert gehören.

Verkaufen Sie Ihre Leute nicht für dumm. Erliegen Sie nicht der verallgemeinernden Management-Vorannahme, dass die Leute ‚unter‘ Ihnen gefühlsgetrieben und begrenzt vernunftbegabt sind. Bekennen Sie sich gegebenenfalls dazu, auch nicht zu wissen, wie es weitergehen wird. Machen Sie keine Versprechungen, über deren Einhaltung Sie keine Kontrolle haben. Erzählen Sie, wie das systemische Kräftefeld aussieht, von dem Sie ein Teil sind und in dem Sie sich alle bewegen müssen. Betonen Sie das, was Sie miteinander bindet und verbindet. Verbreiten Sie Zuversicht, wo immer Sie das können.

Bei all dem vergessen Sie bitte niemals: es gibt keinen Urlaub von der Rolle.

 

Dies alles und noch viel mehr steht natürlich in Tough Love.
Hier, hier, oder am zügigsten über unser liebes Wandelforum können Sie es schnurstracks online beziehen.

P.S., Abt. ‚alles geht einmal zu Ende‘:

Dies wird der letzte Blogbeitrag unter dem Leitmotiv ‚Tough Love Leadership‘ gewesen sein. Mein Dank an alle, mit denen ich meine Erfahrungen, meine Erkenntnisse und meine nagenden Fragen teilen durfte. Auch ich reise jetzt weiter zu neuen Ufern:

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