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Darf ich Erwartungen an andere haben, mit denen ich in gegenseitiger Abhängigkeit verbunden bin? Darf ich diese Erwartungen kommunizieren, und was um Gottes Willen tue ich, wenn sie enttäuscht werden? Darum soll es im vierten Teil dieser Blogreihe gehen, die sich der Frage widmet, was in Beziehungen wichtig ist. Diesmal unter der Überschrift

Sich verlassen können

Erwartungen an einen anderen Menschen zu haben, der einem wichtig ist, und mit dem man eine Beziehung hat, die einem wichtig ist, das ist wahrscheinlich ein wesentlicher Aspekt von dem, was eine Beziehung überhaupt ausmacht. Im Umkehrschluss: keine Erwartungen in jemanden zu haben, heißt eigentlich, keine Beziehung zu ihm zu haben. Denn es bedeutet ja implizit, dass der andere tun oder lassen kann, was er will, dass es mich so oder so nicht berührt. Da ist die Grauzone zwischen unbedingter Liebe und völliger Wurstigkeit sehr groß, und sehr grau. Niemand von uns sollte sich dafür schämen müssen, Erwartungen in andere zu setzen.Dies gilt insbesondere für unsere Beziehungen mit anderen, von denen wir abhängig sind, und die von uns abhängig sind, weil wir gemeinsam etwas erreichen müssen, was wir nicht alleine erreichen können.
Wir dürfen nicht nur, wir müssen sogar Erwartungen aneinander haben.

Wir müssen uns jeweils klar darüber sein, welche das sind, und es ist noch besser, wenn der andere unsere Erwartungen auch kennt, und es ist der Hammer, wenn diese Erwartungen jeweils geprüft und für realistisch befunden und gemeinsam vereinbart sind. Ein solches ‚Erwartungsmanagement‘ ist ein wichtiger Teil der gesamten Beziehungsarbeit, zu der Sie als Führungskraft aufgerufen sind, und zwar als ein offener und fortdauernder Prozess.

Meist verläuft das ja verdeckt: man spricht nicht über die Erwartungen, die man in den jeweils anderen hat, und dann spricht man auch nicht drüber, wenn die sich nicht erfüllen, sondern arbeitet das, jeder für sich, schweigend durch. Und irgendwann kündigt man die Beziehung, und auch das nur unausgesprochen. Der Eisberg erzittert kurz und rumpelt, aber er schmilzt natürlich nicht. Das ist alles keine Führung.

Die heikle Sache mit Erwartungen ist ja die: sie sind keine sich automatisch selbst erfüllenden Prophezeiungen. Sie können enttäuscht werden. Das ist das Risiko, das man eingeht, wenn man den Mut aufbringt, von anderen Leuten Dinge zu erwarten. Enttäuscht zu sein, ist kein schöner Zustand. Man ist ärgerlich und traurig und sich selbst ein bisschen peinlich, denn irgendwie hat man sich ja aufs Glatteis führen, eben täuschen lassen. Enttäuschung ist auch, wie der Volksmund so schön resümiert, das Ende einer Täuschung.

Das ist bestimmt ein Grund, aus dem so viele von uns Erwartungen gar nicht erst aussprechen und sich nur heimlich überhaupt erlauben, sie zu haben: dass man sich selbst, oder noch schlimmer, anderen hinterher nicht zugeben muss, einfach ein peinlicher Romantiker zu sein, weinerlich und angetrunken – ein Verlierer.

Die andere Seite ist aber die, Abteilung 1:

Wenn wir als ‚Opfer‘ enttäuschter Erwartungen mit dieser Täuschung konfrontiert werden, beinhaltet das eventuell auch einen Weckruf: uns gewisser Projektionen auf andere, gewisser Träume von Erlösung durch andere, bewusst zu werden – und uns nach gründlicher Betrachtung vielleicht von ihnen zu verabschieden. Dann könnten wir noch mehr das in uns zu entwickeln, was wir bequemerweise auf andere gewohnt waren zu auszulagern. Diese Entwicklung können wir aber nur machen, wenn wir nicht kategorisch leugnen oder verstecken, dass wir überhaupt Erwartungen haben. Sondern uns trauen sie zu haben und uns trauen zu trauern wenn sie enttäuscht werden.

Die andere Seite, Abteilung 2:

Erwartungen zu haben, sie zu kommunizieren, sie als Richtschnur der eigenen und gemeinsamen Bewertungen zu nutzen – und damit offensiv umzugehen, wenn sie sich nicht erfüllen –, ist ein untrügliches Merkmal einer starken Beziehung: man ist einander wichtig, man ist Gefährte auf einem Weg, man ist nicht allein. Man kann dann zum Beispiel (und sollte unbedingt!) feiern, wenn sich gegenseitige Erwartungen bestätigen oder, auch das kommt ja vor, sogar übererfüllen. Und man kündigt auch nicht gleich ganz still, wenn sich nicht alle Erwartungen erfüllen. Sondern man bleibt in der Beziehung zum anderen und interessiert sich aber auch sehr, welche Gründe es denn gegeben haben mag dafür, dass er nicht so konnte, oder wollte, wie vereinbart und beidseitig erwartet war.

Michelle Obama beschrieb in einem Interview die Beziehung zu ihrem Vater, einem ‚kleinen‘ Angestellten der Kommunalverwaltung in Chicago: er hätte sie sehr unterstützt, beeinflusst und geformt, und eigentlich nie mit ihr geschimpft oder die Stimme erhoben. Unvergesslich, aufrüttelnd und prägend wären ihr aber auch die Momente, nicht viele, in denen er zu ihr sagte: „Mein Kind, ich bin enttäuscht. Ich habe große Hoffnungen und großes Zutrauen in dich, aber was du im Moment da veranstaltest, enttäuscht meine Erwartungen in dich. Was ist los?“ In demselben Interview erwähnt sie übrigens auch, dass Barack und sie dieses Beziehungsmanagement zum Teil ihrer gemeinsam und jeweils gelebten Führungsbeziehungen zu Mitarbeitern des Weißen Hauses gemacht hätten …

Wenn wir unserer Enttäuschung wirklich nachgehen, lernen wir garantiert etwas; und es bleibt immer noch unserem Ratschluss überlassen, darüber zu urteilen, ob nach unserem Verständnis der andere mehr Möglichkeiten gehabt hätte, als er genutzt hat, und uns von unseren Erwartungen gegebenenfalls zu verabschieden, offen oder verdeckt.

Im besten Fall lernen wir eventuell sogar etwas darüber, wie wir selbst es unmöglich gemacht haben, dass der andere unsere und seine Erwartungen erfüllen konnte. Bewusst oder unbeabsichtigt, oder aufgrund geänderter Prioritäten oder sonstiger politischer Umstände, oder wie auch immer. Das wäre dann wieder ein unbezahlbares Feedback über unsere Wirkung, die nicht einfach das Ergebnis unserer Absichten ist. Sie merken schon: wir sammeln mehr und mehr Material dafür, wie Sie sich auf reife Weise heutzutage selbst führen können. Dürfen. Müssen.

Mehr zu dem, was in Beziehungen wichtig ist, im nächsten Teil dieser Reihe ...

 

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