Die Frage nach dem Verhältnis von Selbstorganisation und Führung beschäftigt mich schon länger. Weil sie anthropologisch interessant ist. Weil sie aus vielen praktischen Gründen immer wieder aktuell ist. Weil sie Ausgangspunkt so gut gemeinter wie verzweifelter Anstrengungen ist, das Zusammenwirken so zu organisieren, dass etwas Intelligenteres dabei herauskommt, als man alleine zuwege bringen könnte …

Einer der unverzichtbaren Beiträge, die Gruppen brauchen, ist Führerschaft. Es muss immer jemand geben,
... der oder die Bedrohungen und Chancen im Außen auf den Punkt bringt, benennt und be-wertet –
... der oder die die möglichen Antworten darauf umreißt –
... der oder die die Aufgaben, die dafür nötig sind, definieren und koordinieren kann.
Jemand, der oder die die Beziehungen im Innen und nach außen so orchestriert, dass das Ganze kohärent mit einer Stimme sprechen und konsistent handeln kann. Damit man durch die nächsten Winter kommt.

Wenn man also dafür qua Rolle verantwortlich ist (und rechenschaftspflichtig – die Geführten sind ja letztlich immer in der Mehrheit), dann bastelt man ein System.

Rollen: das heißt vorgegebene Definitionen, wer man ist und wer nicht, was man soll und was man nicht darf. Arbeitsplatzbeschreibungen. Eine Aufbauorganisation. Hierarchieebenen. Berichtswege. Prozessdefinitionen.

Man tut das in der Absicht und Hoffnung, dass eine solchen Struktur von formalisierten Beziehungen der Gruppenmitglieder möglichst gut die Beiträge sortiert, gewichtet, abgrenzt und verbindet, die es gerade braucht, um weiterzukommen. Dass das System so gut wie möglich das Feld abbildet. Dream Team!

Das System ist dann die sinnlich wahrnehmbare Oberflächenrealität, in der sich alle Mitglieder bewegen, Sie einschließlich. Die Realität, in der Abhängigkeits- und Konkurrenzbeziehungen stattfinden, in der Hierarchien und Privilegien regieren. Sie sollten sich als Führer*in immer bewusst sein, dass Sie diese Oberfläche schaffen:

 Verwechseln Sie niemals die Tiefenwirklichkeit der Beiträge mit der Oberflächenrealität der Rollen und Aufgaben.

Sonst gehen Sie (und alle anderen) beständig im Spiegelkabinett spazieren, und Sie verstehen nicht, dass Führerschaft nicht nur eine Systemrolle ist, sondern auch ein Beitrag.

Wenn Sie den nicht erbringen, auch als nominelle Führungskraft, wird irgendwann jemand Anderes aufstehen und es tun. Weil es gebraucht wird. Das sollten Sie dann dankend willkommen heißen – auch das ist Tough Love. Und spätestens dann sollten Sie beginnen, darüber zu reflektieren, welches Feedback über Ihre Wirkung (oder den Mangel daran) das beinhaltet. Wahrscheinlich können Sie etwas lernen. Tough Love heißt auch, manchmal Stimmen willkommen zu heißen, Personen mehr als Rollen, die als ‚Kanäle‘ etwas zum Ausdruck bringen, was für alle von Bedeutung ist, und also auch für Sie, die aber erst einmal als ‚dysfunktional‘, die als Minderheit und Störung und als vollständig unerwünschter Beitrag daherkommen.

Wenn man so etwas willkommen heißen will, muss man unterscheiden können, ob dieser Jemand aus der Interessenlage seiner Rolle spricht oder als Person, die bewegt ist von etwas, was über die Rolleninteressen hinausgeht. Niemand kann uns besser aus unserer Alltagstrance aufwecken als solche Stimmen. Wenn es Ihnen gelingt, auf der Ebene der Beiträge und der überpersönlichen ‚Kanal‘-Funktionen von Personen zu führen, und nicht nur auf der Ebene der Systembeziehungen, dann haben Sie großes Potenzial. Erweisen Sie sich würdig!

Aber zurück zur Oberflächenrealität der Systembeziehungen: Wie sieht das systemische Spielfeld aus? Wie sind die unpersönlichen Randbedingungen, unter denen Sie und ihr Team agieren?

Sie sind hierarchisch ranghöher.
In den meisten Fällen ist das so, und wenn es so ist, macht das vieles schon mal leichter, weil es Sie mit den unpersönlichen, systemgegebenen Werkzeugen der Einflussnahme ausstattet.

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Sie etwa ein Projektteam führen, dessen Mitglieder teilweise ranghöher und sowieso Ihnen nicht disziplinarisch unterstellt sind. Wenn das so ist, fehlen Ihnen natürlich zentrale ‚Zugriffsmöglichkeiten‘ der Teamführung, Sie sind unter Umständen von der Mitarbeit der anderen abhängiger als die von Ihnen, und Sie müssen sehr geschmackvoll mit Ihren (und deren) Rangsignalen umgehen. Trotz der Einschränkungen können Sie durchaus ein solches Team erfolgreich zu Resultaten führen: wenn die Teammitglieder Sie respektieren und Ihnen vertrauen, wenn Sie geschickt darin sind, persönliche Beziehungen zu den anderen herzustellen, und wenn Sie ein geachteter und überzeugender Vertreter Ihrer Sache und deren Bedeutung für das Ganze sind.

Und wenn es Ihnen gelingt, Ihren eigenen Chef (und der vielleicht noch mal seinen) dazu zu inspirieren, auf deren Hierarchieebenen die Chefs Ihrer Teammitglieder zu beeinflussen, im Sinne der guten Sache, um die es hoffentlich geht. Denn es sind ja immer die Chefs, und die Chefs dieser Chefs, die die Mitglieder Ihres Projektteams für Zwecke reklamieren, die zumindest situativ mit denen konkurrieren, die Sie mit Ihren Leuten aufgerufen sind zu erreichen. Achten Sie also ganz besonders in solchen Fällen auf eine sorgfältige Beziehungspflege mit Ihrem Chef. Oder natürlich Ihrer Chefin.

Die Teammitglieder berichten direkt an Sie.
In vielen Fällen ist das gegeben. In manchen haben einzelne Teammitglieder noch gestrichelte, gepunktete oder wellenförmige Linien an andere, und Sie haben unter Umständen nicht über alle disziplinarische Gewalt. In solchen Fällen gilt dann ähnliches wie das, was ich gerade für Team-konstellationen skizziert habe, in denen nicht alle Mitglieder Ihnen hierarchisch untergeordnet sind. Es ergibt sich konkret immer aus dem Verhältnis gegenseitiger und gemeinsamer Abhängigkeit und Konkurrenz. Benutzen Sie Ihren eigenen System-Taschenrechner, das sollten Sie jetzt draufhaben, wenn Sie dem Text bis hierher gefolgt sind. Sonst anrufen.

Ihr Team ist so abhängig von Ihnen wie Sie von ihm.
In der Regel besteht diese gegenseitige Abhängigkeit darin, dass Sie den Erfolg Ihres Teams brauchen, um Ihre eigenen Zielvorgaben einzuhalten, und dass Ihre Teammitglieder Ihre Unter¬stützung brauchen, um selbst ihre Zielvorgaben zu erfüllen. Beides durchdringt und be¬dingt sich in schönster Weise. Die Frage ist:
Wie offen möchte ich in der Beziehung mit meinem Team und dessen einzelnen Mitgliedern mit unseren Zielvereinbarungen umgehen? Mit Ihrer Antwort erschaffen Sie Kultur. Und – niemals vergessen – Sie repräsentieren den kollektiven Kritiker!

 

Dies alles und noch viel, viel mehr steht natürlich in Tough Love.
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