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Kommunikation ist Unterschied. Kommunion ist Einheit und Gleichheit.

Die öffentliche Arena einer Kultur ist nicht nur der Raum, in dem man über gemeinsam Wichtiges debattiert, sondern auch der, der für ikonisch die Einheit des Ganzen steht und in dem man diese Einheit zeremoniell begeht...

In Sprache feiern wir, wie wir gesehen haben (S. 156ff), den gemeinschaftlichen Bedeutungsraum durch Tilgungen, Redundanzen, Allgemeinplätze oder Metaphern der Gleichheit, also durch sprachliche Nicht-Information.

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Sprache ist aber weder das einzige noch das beste Medium, um kulturelle Einheit-in-Bedeutung zu erleben, denn sie ist ihrer Natur nach auf den Austausch von Unterschieden ausgelegt. Sie ist nur das einzige Medium, mit dem wir unsere Kommunion von Minute zu Minute und jeden Tag erneuern.

Das Wesen der Kommunion ist Abwesenheit von Kommunikation und Unterschied, ist Resonanz in Redundanz

Eigentlich eine magische Aufhebung der Zeit ... Kommunion findet statt, wenn die Mitglieder eine Gruppe gleichzeitig dasselbe tun oder erfahren - am besten beides im gleichen Rhythmus. 

Rhythmus ist Resonanz in Redundanz

Taktschläge und die sich immer wiederholenden metrischen Muster beinhalten keine Information. Das regelmäßige Pochen unseres Herzens von Schlag zu Schlag ist keine Information, sondern ein Ausdruck unserer Kommunion mit dem Leben. Zur Information wird unser Herzschlag erst, wenn er aussetzt. Unser Körper resoniert mit jedem Rhythmus, unser Atem und unser Puls passen sich der Taktgeschwindigkeit an und suchen geradezu die Resonanz.

In jeder Disco findet abends Kommunion statt: in rhythmischem Flackerlicht in gleichem Tempo auf- und abwallende Leiber, die tiefen Bassfrequenzen in allen Bäuchen gleich resonierend - alles ist gut. Kommunikation stört da nur. Gemeinsam singen, Gemeinsam essen und trinken. Jede Art von gleichzeitig und gemeinsam erlebtem Rhythmus ist kommunionsfördernd, nicht nur der musikalische: der Wechsel von Sitzung und Pause, die Reihenfolge der Menügänge, das Abarbeiten der Agendapunkte usw.

Gemeinsam singen ist Resonanz in Redundanz

Wenn ein Chor ein Lied singt, kommunizieren die Chormitglieder nicht untereinander, sondern sie singen gleichzeitig und hören sich und allen anderen zu, während sie es tun. Jeder, der einmal im Chor gesungen hat, weiß, wie beseelend und verbindend das ist. Dasselbe gilt in schwächerer Weise auch für gemeinsames, rhythmisches Sprechen: Wenn eine Gemeinde laut das Vaterunser betet, hat auch das mit Information nichts zu tun, sondern beinhaltet das feierliche Aufheben aller Unterschiede in der Kommunion der Gläubigen.

 Gemeinsam essen und trinken ist Resonanz in Redundanz

In Gemeinschaft zu essen ist keine Kommunikation von Unterschieden, auch wenn man zwischendurch mal den Nachbarn um Pfeffer und Salz bittet. Die Körper der Esser sind einfach gleichzeitig in allseitiger Resonanz mit denselben grundlegenden Vorgängen beschäftigt, mit der Aufnahme und Verdauung von Nahrung. Gemeinsame Nahrungsaufnahme ist eine der ältesten menschlichen Kommunionsvarianten, und heute noch eins der wenigen übrig gebliebenen Elemente, die Familien gemeinsam begehen…

Vor diesem Hintergrund von Einheit lässt sich über vieles Unterschiedliche besser sprechen. Deshalb werden Geschäftsabschlüsse oder andere Verträge häufig während gemeinsamer Essen vorbereitet oder kommen da zustande. Ähnliches gilt in schwächerer Form für gemeinsame Spaziergänge, gemeinsam golfen oder gemeinsame rezeptive Erlebnisse wie einen Film sehen, eine Tanzgruppe sehen, einen Vortrag hören.

Ritual ist Resonanz in Redundanz

Rituale und Zeremonien sind ja an sich schon redundant, eben weil sie in immer gleicher Form ablaufen, mit den gleichen Symbolen der Gleichheit in der immer gleichen Reihenfolge. Jede Abweichung davon wäre Information und ein verstörender Fall aus der Einheit in Gleichheit.

Schaut man die Punkte an, so muss man der katholischen Kirche ein hohes Maß an Redundanzkompetenz bescheinigen: Die Sakramente in lateinischer Sprache, die für die meisten keine Information beinhalten, weil sie sie nicht verstehen, der immer gleiche rhythmische Ablauf, die gemeinsamen Gebete und Gesänge, das Abendmahl – all das hat enorme Kommunionspower. Nicht zufällig entstammt ja der Begriff ‚Kommunion‘ ihrer Terminologie.

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Kommunikation und Kommunion, Unterschied vor dem Hintergrund von Einheit in Gleichheit ist das, was eine Kultur ausmacht und sie im Innersten zusammenhält

So wie jede Kultur sich durch ihren öffentlichen Kommunikationsstil auszeichnet, hat sie den für sie typischen öffentlichen Kommunionsstil: das ist die explizite Art und Weise, die sie in ihrem öffentlichen Raum bevorzugt, um in Ritual, Rhythmus und Reim ihre Einheit zu feiern und zu bestätigen – und gemeinsam wie individuell daraus Kraft zu schöpfen. Dieser Stil entspricht natürlich ebenso ihren Überzeugungen über sich und die Welt wie ihr Kommunikationsstil. Rituale expliziter Kommunion können Betriebsfeiern und Ausflüge sein, Feierlichkeiten zu Jahrestagen und Jubiläen, Verabschiedungen und Begrüßungen und vieles andere mehr.

Kulturen unterscheiden sich je nach ihren mythologischen Identifikationen sehr in Ausmaß und Art, in der sie Kommunion begehen. So dürfte das IBM-Songbook für alle IBM-Beschäftigten ein starkes kommunionsförderndes Element (gewesen) sein. Dieselbe Idee liegt sicher den morgendlichen Lobliedern zu Grunde, zu denen Walmart-Mitarbeiter aufgefordert sind, und natürlich auch dem Steigerlied der IG BCE.

Vielleicht ist beim Lesen der Beispiele zu Resonanz in Redundanz aufgefallen, dass fast alle aus der privaten oder der religiösen Sphäre stammen. Explizite Kommunion in den öffentlichen Räumen unserer Kultur gibt es eher in privatwirtschaftlichen Unternehmen, und nur sehr rudimentär und gehemmt in unseren politischen Sphären, die seit der Aufklärung säkularistisch identifiziert sind, und seit dem Nazi-Trauma PTSD-gebeutelt…

Was mir hier – bevor wir im nächsten Beitrag dieser Reihe dem roten Faden kultureller Kompetenz weiter folgen – wichtig ist zu reflektieren, als Mitglied, als Führungsperson, als externe Begleiter*in, sind diese organisationsanthropologischen Einstiegsfragen:

Wodurch zeichnet sich der öffentliche Kommunikationsstil am prägnantesten aus? Welcher Raum wird der öffentlichen Debatte gegeben, welche Hauptworte sind die häufigsten benutzten oder gar beschworenen? Wieviel Raum gibt es für Unterschiedlichkeit und Polarisierung? Wer setzt die, wer bewacht die Grenzen?

Wie begeht man/frau auf diesem kulturellen Mikroplaneten Einheit-in-Gleichheit? Welche Rituale, welche Zeremonien und Feierlichkeiten gibt es, wer beruft sie ein, und wie, und in welcher Weise inkarniert sich in ihnen der Schöpfungsmythos der Gemeinschaft?

Welchen Platz haben darin die grundlegenden und allgegenwärtigen Beziehungsmuster allen Lebens auf unserer lieben Erde: gegenseitige Abhängigkeit – und gegenseitige Konkurrenz? Wer oder was dominiert über wen oder was? Was müsste man/frau tun oder lassen, um aus der Einheit-in-Bedeutung zu fallen – oder aus ihr verstoßen zu werden (manchmal reicht es, ein Kopftuch nicht zu tragen)?

Wenn ich hier die allgemein-biologische Ebene betone, dann deshalb: Ich glaube dran, dass die Art und Weise, wie wir Menschen unsere Kulturen erschaffen und organisieren, nicht wesentlich anders ist – nicht wesentlich anders sein kann – als die, in der der große ‚Rest der Schöpfung es tut. Die Lebensbedingungen auf unserem Heimatplaneten sind für uns alle dieselben. Wir alle sind gefangen – und aufgehoben – in einer globalen Matrix von gegenseitiger Abhängigkeit und gleichzeitiger Konkurrenz. In Einheit und Unterschied, in Kommunion und Kommunikation.

Übrigens habe ich gerade begonnen, David Graebers und David Wengrows paradigmatischen Forschungsbericht ‚The Dawn of Everything‘ zu lesen, der dieser Frage auch nachgeht. Ich bin gespannt und werde berichten …

 

Im Übrigen steht alles und noch viel mehr in „Die heiligen Kühe...'‘

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