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Führen ist immer Beziehungsarbeit: zwischen Personen in ihren Rollen, durch ihre Rollen, als Personen diesseits und jenseits ihrer Rollen. Sie findet immer auf der ‚Wer bin ich für dich, wer bist Du für mich‘-Ebene statt. Meistens natürlich unter der Wasserlinie des kulturellen Eisbergs, während man eben auf der Oberfläche irgendwelche Themen abhandelt.
Tough Love besteht unter anderem aus der Kunst, zum richtigen Zeitpunkt das, was auf der Beziehungsebene passiert, momentan ans verbale Tageslicht zu holen – also die Person zu sein, die es aktiv tut. Wenn das eine Person tut, muss die andere folgen: ein sehr mächtiges Werkzeug.

Auf die Beziehungsebene wechseln

So etwas macht man nicht aus frivoler Besessenheit für Psychogespräche, sondern weil dort nun mal die Musik spielt. Weil alle Sachthemen leicht werden, wenn die Beziehung stimmt. Weil die meisten Menschen aber eine große Grenze dagegen haben, sich der Beziehung zu stellen – das kostet eigentlich immer etwas Mut, und manchmal sogar viel. Und weil, wenn man klug genug ist, das alles zu checken, es auch eine gewisse Verpflichtung beinhaltet, dieses Wissen mit den anderen zu teilen (Sie wissen schon: damit das Ganze klüger wird).

Vielleicht ist hier eine organisationsanthropologische Anekdote angebracht:
Vor wenigen Wochen sah ich, ungefähr vierzig Jahre, nachdem ich den Film zum ersten Mal im Kino gesehen hatte, ‚Der Pate‘ von Francis Ford Coppola auf dem häuslichen Videorekorder. Aus Langeweile eigentlich. Keiner der Gedanken, die ich in diesem Text mit Ihnen teile, war natürlich damals, beim ersten Sehen vor vielen Jahrzehnten, wirklich artikuliert in meinem Hirn gewesen. Als ich den Dreiteiler jetzt erneut sah, war ich vollkommen fasziniert davon, wie sich in dem Film eine ganze Führungskultur entfaltet, in der ganz offen - und für abendländische Maßstäbe fast fremdartig - Beziehungen definiert, überwacht, justiert und beendet werden. Nicht nur nebenbei, sondern nur darum geht es. Vito Corleone, der Pate (Marlon Brando) führt nur Beziehungsgespräche, ständig. Dass als Ergebnis solcher Gespräche manchmal Personen sterben, ist natürlich nie etwas Persönliches, sondern das kühl kalkulierte Resultat von interessengeleiteten, rollenbedingten Abwägungen. Es ist ein Zeichen von Schwäche und beinhaltet einen Gesichtsverlust, so etwas persönlich zu nehmen, oder, noch schlimmer, jemand aus lediglich persönlichen Motiven zu töten. Ich weiß natürlich nicht, ob Mario Puzos Geschichte, auf welcher der Film basiert, wirklich viel zu tun hat mit der tatsächlichen Führungskultur der Mafia und ihresgleichen. Ich habe es aus verschiedenen Gründen vorgezogen, in meinen anthropologischen Studien weniger ‚exotische‘ Kulturen zu erkunden. Wenn aber Puzos Geschichte tatsächlich irgendwelche Ähnlichkeiten mit den real existierenden Kulturen von Mafia, Cosa Nostra, ‚Ndrangheta', Camorra und so weiter hat, dann könnte in der strammen Beziehungsorientierung einer der Gründe dafür liegen, dass diese Organisationskulturen so nachhaltig erfolgreich sind, so über die Maßen ärgerlich erfolgreich, geradezu.

Das ganze Buch Tough Love ist voller Beispiele für Situationen, in denen Sie dazu aufgefordert sind, bewusst und offen über die Beziehungsebene zu führen. Grundsätzlich gibt es zwei Arten von ‚richtigen‘ Situationen dafür, die Beziehung in Worte zu fassen und damit in den Fokus der gemeinsamen Aufmerksamkeit zu rücken, anstatt sie nur nebenbei körpersprachlich und eigentlich ungewollt zu signalisieren:

Geplant. Sie machen einen Termin für ein Gespräch, oder Sie bitten um einen, je nach Rangverhältnissen. Sie machen das in dem öffentlichen Raum, der hier angemessen ist. Meist ist das ein Zweiergespräch, vielleicht ein Teammeeting. Sie müssen also einen Gesprächsanlass oder Tagesordnungspunkt formulieren. Da heißt es schlau sein. Der Vorteil hier: Sie können sich vorbereiten, sind weniger in Gefahr, sich von eigenen Emotionen oder von Steilvorlagen des Gegenübers provozieren zu lassen. Eventuell der Nachteil: der oder die anderen können sich ebenfalls mental vorbereiten. Das hat dann im schlimmsten Fall zur Folge, dass im Meeting nur noch diplomatische Communiqués ausgetauscht, Schleier gezogen, Unangreifbarkeiten konstruiert werden. Im besseren Fall, dass jenseits situativer Aufgeregtheiten, in einem Geist von Ernsthaftigkeit und gemeinsamer Verpflichtung, Realitäten der unpersönlichen wie der persönlichen Beziehung etabliert werden.

Spontan. Sie verlangsamen das Geschehen live und in Echtzeit, im Hier und Jetzt, und transponieren es auf die Beziehungsebene: Was hat der Inhalt, den Sie gerade diskutieren, für Bewandtnisse und Implikationen für Ihre Beziehung? Wie spielt sich im Moment das implizite Abhängigkeits-, Konkurrenz-, das Respekt- und Vertrauensgeschehen ab? Ein Beispiel für eine solche Beziehungsaktualisierung erlebte ich vor kurzem in einer ziemlich hochrangig besetzten Veranstaltung eines großen multinationalen Unternehmens:
Ein Presenter, selbst Executive Level, hat die Zwischenfrage eines Board-Mitgliedes, übrigens eine Frau, mit „… das ist eine gute Frage …“ quittiert. Wahrscheinlich hat er das mal in einem Präsentationstraining gelernt. Oder er will einfach Zeit gewinnen. Bevor er dazu kommt, die Frage tatsächlich zu beantworten, schießt sie aus der Hüfte: „Und wer zum Teufel sind Sie, mir zu sagen, dass ich eine gute Frage stelle?“ Oh weh. Der Schweiß-Quotient aller Anwesenden schlägt einen steilen Salto. So etwas nennen wir technisch einen ‚Hot Spot‘, analog zu den geologischen Punkten, an denen Vulkane ganz dicht an die Erdoberfläche treten, darunter glühendes Magma. Beziehungs-Magma – in diesem Fall: eine Grenze im individuellen / kollektiven Signalverarbeitungsprozess wird heiß.
Die Vor- und Nachteile dieses ‚spontanen‘ Umschaltens auf die Beziehungsebene liegen auf der Hand: Der Vorteil ist, dass solche Hot Spots wirklich eine gute Gelegenheit sind, aus der Trance des Tagesgeschäftes aufzuwachen und in Echtzeit zu kapieren, worum es im Kern geht. Der Nachteil ergibt sich aus dem Risiko, was tatsächlich passiert, wenn man die dünne Erdkruste ankratzt und das Beziehungsmagma an die Oberfläche gurgelt und spritzt. Kontrollverlust, Desorientierung, Gesichtsverlust, Panik, in ein Drittweltland auswandern, Seppuku. Wenn man hochrangig ist, leistet man sich dieses Risiko natürlich eher. Aber selbst ‚von oben nach unten‘ muss man sich hier merken, dass man sich gerade einen persönlichen Feind kreiert hat, der die nächste Gelegenheit, die sich ihm bietet, nutzen wird sich zu rächen. Als Niedrigrangiger braucht es viel Mut, und meist auch viel Not, aus welcher der Mut geboren wird, will man proaktiv auf die Beziehungsebene wechseln. In Gruppensituationen ist es noch anspruchsvoller. Es können zwar auch hier großartige Dinge gelernt werden, einzeln und gemeinsam, wenn man durch solche ‚heißen‘ Grenzen aufgeweckt wird, aber es braucht eine Menge Ältestenschaft, das zu halten und darin zu führen. Die hat normalerweise niemand, außer man hat einen echt präsidialen Präsidenten. Deswegen wird in solchen Situationen die ‚spontanste‘ Intervention in der Regel wahrscheinlich darin bestehen, den Anderen kurz vor die Tür zu bitten …

Wie auch immer Sie es tun, und hoffentlich tun Sie es mit systemischer Bewusstheit:
Das Wechseln von der Inhalts- auf die Beziehungseben ist eine machtvolle Intervention und ein sehr starkes Führungssignal. Es führt unwiderstehlich dorthin, wo die Musik spielt: dort, wo Klärungen und Lösungen passieren müssen, damit auf der Inhaltsebene die Dinge an ihren Platz fallen.

 

Das alles und noch viel mehr steht natürkich in Tough Love.

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