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Ein Team zu führen ist noch einmal eine sehr andere Herausforderung als die Supervision von Einzelnen. Sobald man sich auf so etwas einlässt, beginnt man, den Tiger zu reiten …

Als Führungsperson eines Teams, einer Gruppe oder gar einer Organisation ‚gebietet‘ man über ein vielköpfiges und potenziell gefährliches Wesen, das sich einstweilen – mehr oder minder mehrheitlich und meist schweigend – damit einverstanden erklärt, von einem geführt zu werden. Weil Respekt da ist, und hinreichend viel Vertrauen, und die vorübergehende Abwesenheit von Alternativen.

Dieses Einverständnis ist aber grundsätzlich immer prekär und kann letztlich jederzeit revidiert werden. Und dann tanzt der Tiger. Letztlich und längerfristig ist die Mehrheit der Geführten ja immer mächtiger als jemand Einzelnes, der sie führt. Auch wenn Ihr Führungsmandat im engeren Sinne Ihnen natürlich nicht per Abstimmung erteilt wird (wie das ja in Vereinen, in gewerkschaftlichen und politischen Organisationen ist). Auch in einer hierarchischen Organisation, in der Ihr Mandat und Ihr Auftrag von ‚oben‘ kommen, werden es Ihre Chefs sich nicht wahnsinnig lange anschauen können, wenn es Ihnen nicht gelingt, Respekt und Vertrauen zumindest der Mehrheit Ihres Teams zu erringen und zu verdienen. Sie sind also in der Praxis immer wieder darauf angewiesen, sich Ihres Einflusses auf die Gruppe neu zu versichern. Wenn wir es für den Augenblick mal ganz simpel und ganz grundlegend betrachten, ist die Sache diese:

Die Gruppe, die Sippe, ist die ursprüngliche und immerwährende Daseinsform unserer Art, Homo Dingsbums. Viel mehr noch als unsere moderne Kleinfamilie zum Beispiel, die ist dafür einfach zu klein und zu fragil. Ohne die anderen Gruppenmitglieder sind wir aufgeschmissen. Ohne einander kriegen wir unsere Kinder nicht groß, halten wir die Wölfe nicht auf Distanz, bringen wir unsere Kranken und Alten nicht durch den Winter.

Wir hängen auf Gedeih und Verderb voneinander ab.

Diese existenzielle Abhängigkeit-in-Verbundenheit ist auch in jeder modernen Gruppe, in jedem real existierenden Team gegenwärtig, und Gott sei Dank: Sie ist der Ursprung aller kollektiven Intelligenz, sie ist das Erfolgsrezept unserer evolutionären Resilienz, der innewohnenden Weisheit unserer Existenz. Sie ist die Ursuppe, aus der Systeme und Organisation auftauchen und in die sie wieder abtauchen, wenn es andere Systeme und Institutionen braucht, um gemeinsam zu überleben. Dies ist die sehr wundersame und ehrfurchtgebietende Fähigkeit von Menschengruppen, das hervorzubringen, was es braucht, um eine gemeinsame und intelligente Antwort auf Herausforderungen aus der Welt zu geben. 'Selbstorganisation' ist hier der technische Ausdruck: Die Gruppe gibt sich die Beiträge und die Aufbauorganisation, die sie im Moment braucht, und später wird sie anderes ersinnen. Nicht, dass diese Anpassungs- und Transformationsprozesse immer friedlich und ohne Konflikte ablaufen. Eigentlich laufen sie immer über schmerzliche innere und äußere Konflikte ab. Aber letztlich hat uns unsere Fähigkeit zur kollektiven Selbsterneuerung einigermaßen erfolgreich durch die letzten zweieinhalb Millionen oder so Jahre gebracht. Allerdings liegen die größten Herausforderungen wahrscheinlich noch vor uns, jetzt, da wir über unsere evolutionäre Konkurrenz gesiegt haben. Einstweilen ...

Auf unsere kollektive Fähigkeit zur Selbstorganisation kann man also jederzeit vertrauen. Unsere Verbundenheit und Interdependenz wird schon hervorbringen, was das Ganze braucht, um sich zu erhalten und weiter durchzukommen. Man kann sie auch jederzeit befürchten, wenn man nämlich mit dem systemischen Status Quo zu sehr identifiziert ist, weil man von ihm profitiert – und damit auch korrumpiert, denn dann will man ihn erhalten, auch gegen besseres Wissen.

Vielleicht ist es gut, um der Klarheit willen noch einmal zurückzukommen auf das grundlegende Beziehungsdiagramm, das ich schon in einem früheren Post entwarf:

Sie hocken auf dem Zaun zwischen dem Innen und dem Außen. Die Kreise in Ihrer Gruppe repräsentieren die verschieden Beiträge, die das Kollektiv hervorbringen muss, um auf die Herausforderungen aus dem Außen zu antworten. Das sind Unterschiedlichkeiten und Stärken, die sich ergänzen und ausgleichen und zusammenwirken müssen, damit das Ganze erfolgreich ist. Man braucht jemand, der organisieren kann, man braucht jemand, der Dinge zu Ende bringt und abarbeitet, man braucht jemand, der im Außen kundschaftet, man muss jemand haben, der Tee kocht, wenn die anderen vom Tagwerk heimkehren, und jemand, der sich um die Verletzten und Verzagten kümmert. Jemand, der beim Eintritt in das Leben hilft, und jemand, der das beim Austritt aus dem Leben tut.

Was gerade gebraucht wird, und wie viel davon, ist abhängig von der konkreten Situation und deshalb fluide. Auf dieser Ebene von Verbundenheit und Abhängigkeit gibt es keine definierten Rollen und Hierarchien, keine Abteilungen, keine ‚Silos‘ und keine Prozessbeschreibungen.

Dies ist übrigens (um hier mal Klarheit zu schaffen und semantische Verwirrungen zu beenden) die Ebene, auf der, wenn auch in zum Teil grobschlächtigsten Vereinfachungen, all diese ‚Teamrollen‘-Modelle angelegt sind, mit denen man als Fortbildungsteilnehmer*in immer mal wieder beglückt wird: Belbin, TMS, Myers-Briggs, wie sie alle heißen. Wenn in diesen Modellen von ‚Rollen‘ die Rede ist, dann sind damit ja nicht wirklich die Systemrollen gemeint, die auf unseren Visitenkarten und im Organigramm ausbuchstabiert sind. Sondern eben einige der unterschiedlichen Beiträge, die eine Gruppe braucht, um gemeinsam schlauer zu sein.

Ich persönlich glaube ja, es braucht noch viel mehr als die vier oder 7 oder 9 ‚Teamrollen‘, die da in Abwandlungen immer wieder beschrieben werden – und auf die die Autoren zum Teil sogar Urheberrechte beanspruchen, eine völlig groteske Idee. Einige dieser Beiträge sind nicht artig und konstruktiv und sittsam gekleidet genug, um in solchen Modellen aufzutreten. Aber auch sie spielen eine ‚Rolle‘ und sind letztlich unersetzlich:

Eine Gruppe bringt immer wieder das hervor, was gebraucht wird. Wir als Personen sind die ‚Kanäle‘, durch die das passiert.

Auf dieser Ebene gibt es keine Egos, keine Visitenkarten, keine Rangunterschiede, kein Kompetenzgerangel. Irgendjemand wird aufstehen und etwas lostreten, wenn die Gemeinschaft es braucht. Auch wenn es erst einmal für die anderen als Störung daherkommt. Es braucht den Einzelnen, die Person – jemand, der oder die es tut. Aber es ist eigentlich fast gleich, wer es ist, denn es wechselt auch.

Personen neigen wunderbarerweise dazu, in Gruppen das beizutragen, was von anderen noch nicht repräsentiert wird. Damit sie selbst einen Unterschied machen können und das Ganze wieder ganz wird. Das ist das Paradigma der Selbstorganisation.

Mehr zum faszinierenden Thema Teamführung und Selbstorganisation demnächst in einem Kino in Ihrer Nähe ...

 

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